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Alte Lebendimpfstoffe gegen neues Virus

Unspezifische Abwehrförderung

Möglicherweise bieten auch alte, gegen ganz andere Infektionskrankheiten entwickelten Impfstoffe einen gewissen Schutz vor einer Infektion mit SARS-CoV -2.

Weltweit wird fieberhaft nach Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 geforscht. Laut einer Mitte Juni aktualisierten Information des Verbandes der Forschender Arzneimittelhersteller e.V. waren bis dahin global über 150 Impfstoffprojekte gegen das pandemische Virus angelaufen. Dennoch könnte es bis zur Marktreife eines neuen Impfstoffes noch Jahre dauern, zumal sich ein solcher im Vorfeld nicht nur als wirksam, sondern auch als sicher erweisen muss. Gerade mit Blick auf etwaige unerwünschte Kurz- und Langzeitfolgen eines neuen Impfstoffes warnen kritische Stimmen vor einer zu voreiligen Zulassung und auch davor, dass man Hersteller im Interesse einer beschleunigten Entwicklung von ihrer Haftungspflicht befreit. Es könnte also durchaus noch länger dauern als die optimistisch geschätzten ein oder eineinhalb Jahre, bis wir uns guten Gefühls mit neuen Impfungen gegen das neue Virus schützen können. So manch anderweitig Optimistische hoffen wiederum, dass sich die Pandemie aufgrund zu wenig bedachter günstiger Wirt-Virus-Interaktionen weit schneller von selbst erledigt als es sich Panikprofessor Karl Lauterbach erträumt.

Plan B

Für den Fall, dass es weder eine spontane noch eine baldige Lösung durch neue Impfstoffe gibt, hat die Forschung verschiedene Pläne B im Visier. Einer davon ist, alte Impfstoffe, die schon lange gegen andere Infektionskrankheiten erprobt und zugelassen sind, auf eine bedingte Eignung zum Schutz vor dem neuen Coronavirus zu testen.

Anlass zu solchen Überlegungen geben anekdotische und zunehmend auch systematische Berichte, wonach Lebendimpfstoffe nicht nur die spezifische Immunabwehr des Körpers gegen den anvisierten Erreger rüsten. Offensichtlich können manche davon auch die unspezifische Abwehr stimulieren oder trainieren und so dafür sorgen, dass der Impfling zumindest für eine gewisse Zeit allen möglichen Krankheitserregern besser Paroli bieten kann.

Gute Überraschungen ...

Einer, der überzeugende systematische Nachweise für solche unspezifischen Zusatzvorteile von Lebendimpfstoffen jenseits der angezielten Erreger erbrachte, war und ist der dänische Anthropologe und Epidemiologe Professor Peter Aaby. 1978 gründete Aaby im westafrikanischen Guinea-Bissau das seither von ihm geleitete „Bandim Health Project". Dieses Gesundheitsforschungsprojekt untersucht unter anderem, wie sich breite lokale Impfprogramme auf die Gesundheit der Bevölkerung und insbesondere auch auf die in vielen Ländern Afrikas noch hohe Kindersterblichkeit auswirken. Dabei fanden Aaby und Mitarbeiter, dass Lebendimpfstoffimpfungen wie solche gegen Tuberkulose (BCG), Kinderlähmung (Polio) oder Masern die Kindersterblichkeit deutlich stärker senkten, als es allein durch den beobachteten impfungsbedingten Rückgang der Masern-, Polio- und Tuberkulosehäufigkeit zu erklären war. Die Kinder waren durch unspezifische Impfeffekte scheinbar auch gegen weitere, in medizinisch unterentwickelten Ländern häufig tödliche Infektionskrankheiten besser als ungeimpfte Kinder geschützt.

... aber auch schlechte

Dass die Pharmaindustrie und die stets um eine bestmögliche Impfakzeptanz besorgte WHO diese frohe Botschaft erst gar nicht so recht in die Öffentlichkeit posaunten, hatte womöglich mit weiteren Studienbefunden der Wissenschaftler um Aaby zu tun. Sie fanden nämlich gleichzeitig, dass Totimpfstoff wie solche gegen Tetanus, Diphtherie oder Keuchhusten zwar auch in Afrika gut gegen die anvisierten Erreger bzw. deren Gifte schützten. Insgesamt zahlte sich die Intervention laut Aabys Ergebnissen aber nicht durchwegs aus. Zumindest in einigen Kleinkinderkohorten war die Gesamtsterblichkeit der damit Geimpften sogar höher als die der Ungeimpften. Während bei Lebendimpfungen das Immunsystem eine evolutionär bekannte Konfrontation mit einem geschwächten Gegner ausfechtet und dabei die Vorteile einer natürlichen Stimulation bei reduzierten Risiken genießt, wird es durch unnatürlichere Totimpfstoffe und insbesondere die darin oft enthaltenen Immunverstärker möglicherweise irritiert, so in etwa Aabys Erklärung. Und denkbar, dass sich eine solche Irritation in Ländern, die eine erheblich schlechtere medizinische Grundversorgung bei gleichzeitig größerem gefährlichem Erregerspektrum haben als wir, deutlich negativer auswirkt als wir es bei uns erkennen könnten.

WHO und RKI nur halb überzeugt

Aabys skeptische Sicht auf Totimpfstoffe teilen WHO und RKI nach wie vor nicht. Die vorgelegten Untersuchungen hätten methodische Mängel und für ihre negativen Ergebnisse gebe es bislang weder tierexperimentelle noch sonstige plausible Erklärungen. Die Vorstellung zusätzlicher unspezifischer positiver Effekte durch Lebendimpfstoffe wird dagegen zunehmend salonfähig und erreicht nicht zuletzt durch die SARS-CoV-2-Pandemie besondere Aktualität. Vorrangige Kandidaten, die sich bereits in ersten klinischen Studien oder kurz davor befinden, um als unspezifische Prophylaxe gegen das neue Virus getestet zu werden, sind die BCG-Impfung gegen Tuberkulose und die alte Schluckimpfung gegen Kinderlähmung.

Süßes gegen Corona gefordert

Der alte Polio-Lebendimpfstoff dürfte so manchen Lesern noch aus ihrer Kinder- und Jugendzeit mit dem Slogan „Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung grausam" erinnerlich sein. Als unspezifische Effekte zusätzlich zum Schutz vor Kinderlähmung kann dieser Impfstoff nicht nur eine reduzierte Kindersterblichkeit in Afrika vorweisen. Klinische Studien aus den 60er und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts mit über 60.000 Probanden hätten mit Nebenbefund überrascht, wonach eine Lebendimpfung gegen Kinderlähmung nicht nur dagegen feit, sondern offensichtlich auch das Risiko, an einer Influenza zu erkranken, bis fast um den Faktor 4 reduziert. Und was unspezifisch vor Grippe schützt, könnte genauso gut auch gegen das neue Corona-Virus wirken, folgert eine Forschergruppe um Konstantin Chumakov von der US-Arzneimittelbehörde FDA in einem im Juni im Wissenschaftsmagazin Science erschienen Beitrag. Die Autoren, darunter wieder Peter Aaby und HIV-Entdecker Robert Gallo, mahnen baldige gezielte Studien mit diesem billigen Impfstoff, der seine vergleichsweise gute Verträglich schon Jahrzehnte lang bewiesen hat, an.

BCG-bedingter Corona-Vorteil aus der DDR?

Eine baldige Renaissance als unspezifische Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 könnten auch Tuberkulose-Lebendimpfstoffe erleben. Für die spricht zusätzlich zu den bereits erwähnten Daten, dass die BCG-Impfung in der DDR bis zum Fall der Mauer als Pflicht galt, während sie im Westen freiwillig und eher selten ausgeführt worden war. Trägt dies dazu bei, dass die ostdeutschen Länder bislang weniger als die westdeutschen von der Corona-Pandemie betroffen sind, fragte der Spiegel in einem Onlinebeitrag vom 11. Juni 2020 zum Thema.

Erste Antworten sollen in Deutschland zwei achtmonatige Multicenter-Studien unter Leitung von Professor Christoph Schindler von der medizinischen Hochschule Hannover geben. Einbezogen in die erste Studie werden rund 1000 Angehörige medizinischer Berufe mit erhöhtem Kontaktrisiko zu Corona-Infizierten. Die zweite Studie wird planmäßig knapp 2000 Menschen im Risikoalter von 60 bis 80 Jahren umfassen. Etwa die Hälfte der Patienten soll eine gentechnisch optimierte Version des herkömmlichen BCG-Lebendimpfstoffes erhalten, die andere Hälfe eine wirkstofffreie Placeboimpfung. Geprüft wird primär, inwieweit sich Placebo- und Verumgruppen hinsichtlich Häufigkeit und Schwere von Corona-Erkrankungen unterscheiden. Zwei ähnliche Studien zu BCG-Impfstoffen gegen Corona sind laut Deutschem Ärzteblatt in Australien mit rund 10.000 Krankenhausangestellten und in den Niederlanden mit rund 1500 Krankenhausangestellten angelaufen. Erste Ergebnisse werden bereits im Oktober erwartet.

 


 

Klassische Lebend- und Totimpfstoffe

Primäres Ziel von aktiven Schutzimpfungen ist, eine spezifische antikörpergestützte Abwehr gegen einen Krankheitserreger zu induzieren. Was in der Natur erst passiert, wenn ein Organismus das erste Mal mit dem jeweiligen Erreger konfrontiert wird, wird mit Schutzimpfungen unter entschärften Bedingungen simuliert. Dabei können sowohl Tot- als auch Lebendimpfstoffe zum Einsatz kommen.

Erreger light

Lebendimpfstoffe enthalten noch vermehrungsfähige aber abgeschwächte Erreger beziehungsweise enge, weniger gefährliche Verwandte des Erregers, gegen den die Schutzimpfung gerichtet ist. Abgeschwächte Versionen des anvisierten Erregers finden sich beispielsweise in Impfstoffen gegen die Virusinfektionen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken. Lebendimpfstoffe, die auf einem kreuzimmunisierenden nahen Verwandten des anvisierten Erregers basieren, waren etwa die einen Kuhpockenvirusabkömmling enthaltenden Impfstoffe gegen die inzwischen als ausgerottet geltenden humanen Pockenviren und der das Bakterium Bacillus Calmette-Guérin enthaltende BCG-Impfstoff gegen Tuberkulose. BCG ist eine abgeschwächte Version des Erregers der Rindertuberkulose, der wiederum sehr eng mit dem Erreger der humanen Tuberkulose verwandt ist und der deshalb auch dagegen immunisieren kann.

Mehr tot als lebendig

Totimpfstoffe enthalten abgetötete Erreger, immunologisch relevante Teile davon oder entschärfte Giftstoffe des Erregers, gegen den man mit ihnen impft. Beispiele für antivirale Totimpfstoffe sind solche gegen Hepatitis A und B, die meisten Grippeimpfstoffe oder solche gegen Humane Papilloma-Viren (HPV). Gegen bakterielle Infektionen gerichtete Totimpfstoffe sind solche gegen Pneumokokken, Meningitis, Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten.

Totimpfstoffe enthalten oft Zusatzstoffe, die die erwünschte Impfantwort verstärken sollen, die aber oft auch für echte oder unterstellte Nebenwirkungen von Impfungen verantwortlich gemacht werden.

In Deutschland wie in vielen anderen Ländern hat man den Lebendimpfstoff gegen Kinderlähmung (Poliomyelitis) 1998 zugunsten eines Totimpfstoffes aufgegeben. Grund waren sehr seltene Fälle, in denen das Impfvirus bei Immungeschwächten eine so genannte Impfpoliomyelitis ausgelöst hat. Möglicherweise erlebt der alte Polio-Lebendimpfstoff aber im Zuge von Corona eine Renaissance.

 Neubewertungen gefordert

Einige Mediziner warnen allerdings aus eben genanntem Grund davor, wieder Impfpolioviren zu verbreiten. Kollegen wie Peter Aaby betrachten dagegen Lebendimpfstoffe generell als eine naturnähere und damit bessere Strategie, die Immunkompetenz eines Organismus zu schulen >>> ohne dabei das Risiko einer echten Infektion einzugehen. Der Körper könne mit dieser Art einer Infektionssimulation besser umgehen als mit der Simulation durch einen dazu noch mit Wirkverstärkern angereicherten Totimpfstoff. Hinzu komme der besprochene zusätzliche Nutzen durch die Förderung einer unspezifischen Abwehrkompetenz.  Auch wenn Aaby oft auf Impfgegnerportalen zitiert wird, ist er selbst kein Impfgegner sondern wenn, dann eher ein partieller Totimpfstoffgegner. Aaby fordert, alle derzeit verabreichten und alle zukünftigen Impfstoffe umfassender als bisher auf spezifische und unspezifische Effekte abzuklären und sie danach zu bewerten.

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