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Staupegefahr in einer Welt ohne Masern?

Virenökologie

Masern- und Staupeviren sind eng verwandt. Dennoch brauchten Menschen erfahrungsgemäß bislang keine Angst vor der Hundekrankheit zu haben. Könnte sich das ändern, wenn die Masern ausgerottet sind und dann auch keiner mehr dagegen impft?

 

Möglicherweise ja, zitiert eine Online-Meldung der Universität Würzburg aus dem Jahr 2013 Professor Jürgen Schneider-Schaulies vom dortigen Institut für Virologie und Immunbiologie.[1] Schneider-Schaulies verweist dabei auf den schon länger bekannten Umstand, wonach man Hunde mit einer Masernschutzimpfung vor Staupe schützen kann. Aus dieser gesicherten Kreuzprotektion ließe sich ableiten, dass wohl auch Menschen infolge einer durchgemachten Maserninfektion oder eben einer Masernschutzimpfung davor geschützt sind, an Staupe zu erkranken beziehungsweise bereits davor, dass sich das Staupevirus überhaupt an den Menschen anpassen kann.

   Was aber, wenn es tatsächlich gelänge, die Masern völlig auszurotten und dann auch keiner mehr dagegen impft? Könnte es dann das Staupevirus schaffen, den nicht mehr kreuzprotektiv geschützten menschlichen Organismus zu befallen?

 

Staupeviren flexibler als Masernviren

Während das Masernvirus offensichtlich exklusiv auf den Menschen angewiesen ist, hat das Hundestaupevirus bereits mehrere Artensprünge bewiesen. Oft tödliche Infektionen bei zahlreichen Fleischfresserarten wie Füchsen, Schakalen, Robben, Dachsen, Frettchen, Waschbären und Löwen sind dokumentiert. Besonders beunruhigend ist, dass offensichtlich auch Affen nicht (mehr) vor dem Hundestaupevirus gefeit sind. So suchte eine zunächst unbekannte Epidemie 2006 die größte chinesische Rhesusaffenfarm heim. Von den damals dort lebenden über 31.000 Affen erkrankten rund 10.000 an einem zunächst unbekannten Leiden mit imponierender respiratorischer Symptomatik.[2] Etwa 4250 verstarben daran. Noch unentwöhnte Jungaffen waren mit einer Morbidität von 60 Prozent und einer Mortalität von 30 Prozent überproportional betroffen.

   Aufgrund ähnlicher Hauterscheinungen, dachte man bei der plötzlichen Affenseuche nach einer Reihe anderer Fehldiagnosen auch an eine Masernerkrankung. Virologische Untersuchungen enttarnten dann jedoch 2008 den Erreger der Hundestaupe als ursächlich. Offensichtlich hatte ein Mutant dieses Virus die Artenbarriere zu Rhesusaffen überwunden, wobei die enge Haltung in Gemeinschaftskäfigen unter unnatürlichen Bedingungen diesen Schritt erleichtert haben könnte. Ab Anfang 2009 wurde laut der bereits zitierten Arbeit in China begonnen, alle zu Versuchszwecken gehaltenen Rhesusaffen routinemäßig gegen Hundestaupe zu impfen.  Inzwischen erkranken pro Jahr nur mehr wenige Individuen im niedrigen zweistelligen Bereich daran, wobei die Autoren offen lassen, ob dies vorrangig der Impfung oder der natürlichen Immunität, die die Ausbrüche ab 2006 bei den Überlebenden der Versuchsaffenkolonien hinterließen, zu verdanken ist.

 

Wenige Schritte zur potenziellen Humanpathogenität

Bislang ist weder historisch noch aktuell ein manifester Staupefall bei Menschen dokumentiert. Das Beispiel der Rhesusaffen lässt jedoch befürchten, dass dieser glückliche Umstand nicht für immer festgeschrieben sein muss. So fand etwa eine Arbeitsgruppe um Schneider-Schaulies in einem experimentellen Setting heraus, dass der für ihren Versuch verwendete Hundestaupevirus-Stamm nur wenige Mutationsschritte benötigte, um sich in vitro dem humanen CD150-Rezeptor anzupassen und über diesen in menschliche Zielzellen zu gelangen.[3] Um sich dort erfolgreich und schädigend zu vermehren, bedürfte es wohl aber noch weiterer Mutationsschritte.

   Angesichts der Kreuzprotektion, die eine durchgemachte Maserninfektion beziehungsweise die Masernschutzimpfung gegen das Staupevirus gewährt, ist unwahrscheinlich, dass es genug Gelegenheit erhält, mit einer erfolgreichen Mutationskaskade all diese Hürden spontan zu überwinden. Sollte das Masernvirus aber irgendwann ausgerottet sein und Impfkampagnen eingestellt werden, würde sich die Kreuzprotektion verlieren und das Staupevirus bekäme womöglich ausreichend Gelegenheit und Zeit, sich dem Menschen anzupassen und mit fataler Konsequenz die frei gewordene Nische zu besetzen.

 

Was tun?

Auch wenn dieses Replacement bislang nur hypothetisch ist, sollte man sich dennoch Gedanken machen, wie man ihm gegebenenfalls begegnet beziehungsweise vorbeugt, so in etwa Schneider-Schaulies auf Anfrage. Naheliegend wäre, auch nach einer etwaigen Ausrottung der Masern einfach die bewährten Impfstoffe dagegen weiter zu verimpfen. Inwieweit die Compliance der Impflinge dann aber angesichts einer zunächst rein hypothetischen Gefahr ausreichend mitspielt, ist nur eine von mehreren unbeantworteten Fragen. Eine andere wäre, inwieweit eine nur auf standardisierten Impfviren beruhende Immunität, die nicht mehr durch spontane zusätzliche Wildvirusexpositionen aufgerüstet wird, stark und breit genug ist, um irgendwann nicht doch von Staupeviren unterlaufen zu werden.



[1] http://www.uni-wuerzburg.de/sonstiges/meldungen/single/artikel/kann-das-h/

[2] Qiu W et al.: Emerg Infect 2011; 17: 1541–1543

[3] http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0057488

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